Morgentau hat geschrieben:
Nach der Erzählung machte ich natürlich große Augen. Denn 1.) Haben die Männer damals nicht masturbiert? 2.) War es einem Mann damals tatsächlich egal ob die Frau Sex wollte oder nicht?
Zu 2.): Vermutlich war das oft so.

Sex galt ja als eheliche Pflicht und ausbleibender/verweigerter Sex war ein Scheidungsgrund.
Wikipedia zitiert aus einem Urteil von 1966:
Zitat:
„Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen (...) versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen. Denn erfahrungsgemäß vermag sich der Partner, der im ehelichen Verkehr seine natürliche und legitime Befriedigung sucht, auf die Dauer kaum jemals mit der bloßen Triebstillung zu begnügen, ohne davon berührt zu werden, was der andere dabei empfindet. (...) Deshalb muss der Partner, dem es nicht gelingt, Befriedigung im Verkehr zu finden, aber auch nicht, die Gewährung des Beischlafs als ein Opfer zu bejahen, das er den legitimen Wünschen des anderen um der Erhaltung der seelischen Gemeinschaft willen bringt, jedenfalls darauf verzichten, seine persönlichen Gefühle in verletzender Form auszusprechen.“
Dazu kamen dann noch gesellschaftliche Vorstellungen, dass Männer eben per se sexhungrig seien, während weibliche Sexualität weitgehend tabuisiert oder zumindest nicht thematisiert wurde. Diese Bilder sind ja auch heute noch weit verbreitet, woraus dann auch die Vorstellung entsteht vom Mann als Jäger und passiver Frau, die sich erobern lässt. (Stichwort
Rape Culture.)
Ich habe hier ein Buch von 1955 mit dem Titel "Frauenfibel - ABC der modernen Frau", das insgesamt sehr fortschrittlich ist.

(Ist auch von einer Frau geschrieben, die Autorin heißt Ruth Berger). Da heißt es unter Punkt "Geschlechtstrieb":
ABC der modernen Frau hat geschrieben:
Leider begnügen sich viele Ehepaare damit, anzunehmen, die Frau sei "von Natur aus kalt", oder Frauen könnten nicht, wie Männer, einen Höhepunkt der sexuellen Erregung erleben.
Im gleichen Buch wird auch eine Allensbach-Umfrage von 1950 erwähnt, nach der nur 49% der Männer "die volle sexuelle Befriedigung durch einen gleichgültigen Partner für unmöglich" hielten (bei den Frauen waren es 81%).
Der Abschnitt "Empfängnisverhütung" ist in dem Buch sehr lang, ich habe ihn nur überflogen. Allgemein ist er sehr pro-Verhütung und schimpft auf die "kaninchenhafte Vermehrung" der Menschheit.

Außerdem heißt es da:
- von denjenigen Deutschen, die verhüten, meinen 79% empfängnisverhütende Mittel und 60% außerdem besondere Vorsicht (Allensbach 1950)
- Coitus interruptus ist unzuverlässig und auf Dauer schädlich (die notwendige "gespannte Aufmerksamkeit" des Mannes schädigt das Nervensystem und die Frau kommt weniger wahrscheinlich zum Orgasmus, wenn der Sex früher abgebrochen wird
nicht zu unterschätzende gesundheitliche Gefahren (Hervorhebung im Original!) - besondere Stellungen zur Empfängnisverhütung sind auch unzuverlässig
- ausbleibender Orgasmus der Frau ist ebenfalls unwirksam, ist aber ein "unausrottbarer Aberglaube"
- "Auch daß die Frau [...] nach dem Verkehr versucht, durch Aufsetzen und Husten oder Aufstellen mit gespreizten Beinen und ruckartiges Schleudern des Unterleibs den Samen aus der Scheide zu entfernen, hat praktisch keinen Zweck [...]"
An mechanischen und chemischen Hilfsmitteln werden aufgezählt:
- Präservativ (das sicherste Verhütungsmittel überhaupt)
- Pessare, Portioschutzkappen in Verbindung mit chemischem Verhütungsmittel (auf korrekte Anpassung beim Gyn wird hingewiesen)
- vom IUP wird abgeraten (damit ist eins gemeint, das mit einem Stiel in den GMH hineinragt,
Stielpessar)
- chemisch: Tabletten und Cremes (Patentex)
- Spülungen der Scheide mit Wasser sind als alleinige Verhütung ungeeignet
Und:
Zitat:
In letzter Zeit sind Empfängnisverhütungsverfahren bekannt geworden, die auf der Beobachtung der "unfruchtbaren" Tage der Frau beruhen (Methode Knaus-Ogino und Basaltemperaturmessung, auch mit Namen wie Zyklotest verbunden). Theoretisch sind diese Verfahren wunderbar, in der erotischen Praxis jedoch versagen sie aus unterschiedlichsten Gründen so oft, daß sie zwar die Zahl der Schwangerschaften vermindern, eine Empfängnis aber nicht mit Sicherheit ausschließen. Die mit der Messung der Körpertemperatur verbundene Methode scheint die zuverlässigere von beiden zu sein.
Tja, ganz überzeugt ist sie nicht, aber die Temperaturmethode war 1955 ja auch noch sehr neu.
Ich denke, die Auszüge geben einen kleinen Einblick, was in den 50ern üblich war. Ich finde auch die Seiten vom
Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch sehr interessant, die haben da viele Infos und Abbildungen zu Verhütungsmethoden aus der Vergangenheit.